15 und kein bisschen leise
ORF.at v. 12/2004
Vor genau 15 Jahren durfte Bart Simpson, der vorlaute Spross und Held einer der erfolgreichsten Fernsehfamilien aller Zeiten, zum ersten Mal eine ganze Folge lang auf dem Fernsehschirm sein Unwesen treiben. Was auf den ersten Blick wie eine harmlose Comic-Serie aussah, entpuppte sich bald als anarchistische Persiflage auf die US-Gesellschaft mit bitterbösen Seitenhieben auf die Politik. Die Zeiten von Wortgefechten mit US-Präsidenten scheinen zwar vorbei, angepasst sind die "Simpsons" aber noch lange nicht.
Keine Schonung für Bush und Co.
Simpsons wollen auf "billige Pointen" gegen Bush verzichten: "Wir versuchen es subtiler."
Eigentlich müsste er jetzt 25 Jahre alt sein, einen Job und vielleicht sogar eine eigene Familie haben. Doch nach den Gesetzen des Zeichentrickfilms bleibt er immer zehn: Am 17. Dezember 1989 trat Bart Simpsons zum ersten Mal in "seiner" Serie im US-Fernsehen auf.
Der Rest ist eigentlich Geschichte: Die "Simpsons" überzeugten junge wie alte Zuseher und Kritiker und eroberten nicht nur die USA, sondern praktisch die ganze Welt im Sturm - nicht nur wegen ihres vordergründigen Humors, sondern auch als beißende Gesellschaftssatire.
Chaos statt Harmonie
Springfield, ein kleines Nest irgendwo in den USA, ein Häuschen am Stadtrand, eine fünfköpfige Normalfamilie - eigentlich ein Szenario, das nach heiler Welt klingt.
Doch statt Harmonie herrscht Chaos: Bart ist ein anarchistischer, unbelehrbarer Lausbub, sein Vater Homer, der geheime Held der Serie, ein einfältiger Verlierertyp, und Mutter Marge kann nur selten die Familie beim Mikrowellenessen vor dem Fernsehapparat bändigen.
Tochter Lisa verzweifelt an der intellektuellen Armut ihrer Umgebung und Baby Maggie fällt nur durch ihre Schnuller-Sauggeräusche auf.
Slapstick und Satire
Doch keine Spur von Tristesse: Zwischen einfachem Slapstick, Wortspielen und politischen Seitenhieben hat es der Vater der Simpsons, der Underground-Zeichner Matt Groening, geschafft, eine Mischung zu finden, die Zuseher quer durch alle Alters- und Landesgrenzen in den Bann zieht. Als reine Kinderserie können die Simpsons damit jedenfalls nicht bezeichnet werden.
Tabubruch als Programm
Und immer wieder hat er es auch geschafft, mit den Simpsons politische Themen anzusprechen, die bisher in Zeichentrickserien als Tabu galten.
Und politisch anzuecken gehört fast schon zum guten Ton: Spätestens als Barbara Bush, Frau des damaligen US-Präsidenten George Bush senior, in einem Interview die "Simpsons" als das Dümmste, das sie je gesehen habe, bezeichnete, war der langjährige Schlagabtausch eingeleitet.
Schlagabtausch mit Bush senior
1992 meinte der amtierende Präsident, er wünsche sich eine Nation, die moralisch eher wie die Waltons, also jene amerikanische Fernsehfamilie, die sich vor allem auf Grund ihrer Gute-Nacht-Wunsch-Orgien in das kollektive Gedächtnis gebrannt hat ("Gute Nacht, John Boy"), und nicht wie die Simpsons sei.
Die Replik der "Simpsons" folgte postwendend: Auch Homer und Co. sehen die Ansprache in ihrem Wohnzimmer und Bart kontert: "Wir sind doch wie die Waltons. Wir beten auch für ein Ende der Depression."
Zu sanft geworden?
In den vergangenen Jahren vermissten manche Fans eine derart scharfe politische Linie. Nur selten, zuletzt etwa im US-Wahlkampf im Herbst, wurde die Politik so dezidiert aufs Korn genommen, hieß es von Kritikern.
Wenn die Serie tatsächlich ein wenig ihre subversive Kraft verloren hat, dann liegt das laut Groening nicht daran, dass man es nicht versucht habe: "Ich glaube, wir beleidigen noch immer eine Menge Leute."
Establishment zum Besseren verändert?
Aber die hätten gelernt, dass sie "wie Idioten" aussehen, wenn sie sich beschweren. "Und darum machen sie es nicht mehr", so Groening in einem Interview mit dem britischen "Guardian" vor wenigen Wochen.
Der Produzent der Serie, Al Jean, sieht es sogar als Erfolg an, dass die "Simpsons" nun weniger schockieren: "Wenn wir jetzt Teil des Establishments sind, dann hoffe ich, wir haben das Establishment zum besseren verändert."
Schwere Geschütze gegen Fox
Weiterhin schwere Geschütze fahren die "Simpsons" allerdings gegen den eigenen Fernsehkanal Fox TV auf: Unverblümt werden die oberflächlichen und stockkonservativen Abendnachrichten des Senders torpediert.
"Verursachen Demokraten Krebs?", "Ölteppiche halten Seehunde frisch und beweglich" und "Studie: 92 Prozent aller Demokraten sind schwul" laufen bei den Fox-News sehenden "Simpsons" über den Bildschirm im Bildschirm.
Glücklich ist man bei Fox nicht, doch allzu viel tun kann man die Breitseiten der eigenen Serie auch nicht tun. Schließlich haben die "Simpsons" maßgeblich dazu beigetragen, dass man nun eines der führenden TV-Netzwerke in den USA ist.
Bush als "billige Pointe"
Dass der wieder gewählte US-Präsident George W. Bush bisher vergleichsweise ungeschoren davon gekommen ist, erklärt Groening damit, dass Bush mittlerweile ein zu einfaches Ziel für Polemik geworden ist.
"Und nun ist es wirklich schwer, politische Satire zu machen, wenn man die billigen Pointen vermeiden will." Also versuche man es subtiler: "Wir nehmen genau das Gegenteil von dem, was wir politisch denken, übertreiben es bis zur Lächerlichkeit und hoffen, dass es die Leute kapieren."
Doch vielleicht packt Groening in der soeben in den USA angelaufenen 16. Staffel wieder den Holzhammer aus. Schon vor der US-Wahl hatte er angekündigt: "Wir werden viel mehr machen, wenn Bush wieder gewählt wird."
"In einer Viertelstunde erfunden"
Viel Fantasie brauchte Groening für die Namen seiner Serienelden nicht.
Zehn gewonnene Emmys und zahlreiche weitere Auszeichnungen, ein Millionenpublikum in über 90 Ländern: "Das Phänomen der Simpsons hat meine wildesten Träume übertroffen - und meine wildesten Albträume." So brachte bereits vor einigen Jahren der "Vater" der Simpsons den Erfolg seiner Serie auf den Punkt.
Gerade eine Viertelstunde habe er gebraucht, um sich die Simpsons auszudenken, behauptet Matt Groening. Und dieses Kunststück sei ihm im Wartezimmer eines Fernsehbosses gelungen.
Von Comic-Strips zu Fox
Groening hatte sich mit seinem Comic-Strips "Life in Hell" - und dem bösen Humor darin -einen Namen gemacht und erhielt vom neu gegründeten Fernsehsender Fox ein Angebot, mit den Charakteren kurze Zwischenclips für die "Tracey Ullman Show" zu produzieren.
Doch Groening schickte den einohrigen Hasen "Bongo" und dessen Vater "Binky" in Pension und erfand kurzerhand eine fünfköpfige gelbe Familie: die Simpsons.
Bekannte Vornamen
Er schöpfte dabei voll aus seinem eigenen Leben: Einst arbeitete er selbst in einer Kläranlage, die Vornamen der Simpsons entlieh er seinen Eltern und Geschwistern. Sein Vater hieß Homer, seine Mutter Margaret und seine Schwestern Lisa und Maggie.
Dass er seinen eigenen Sohn im ersten Überschwang Homer nannte, kann er heute nur bedauern.
Kurzclips als voller Erfolg
Im April 1987 flimmerten die ersten Kurzclips der "Simpsons" über die Fernsehschirme und recht bald war klar, dass die Zuseher der "Tracey Ullman Show" genau deswegen ihre Apparate einschalteten und nicht wegen der Sketches "dazwischen". Eineinhalb Jahre später ging die erste volle "Simpsons"-Folge auf Sendung.
Fanartikel ohne Ende
Mit der Popularität der "Simpsons" wurden auch die Merchandising-Produkte der Serie zum Renner.
Von Häferln über Wecker bis hin zu Unterhosen mit Bart Simpsons Konterfei gibt es praktisch nichts, das für eingefleischte Fans nicht zzu erwerben wäre.
Simpsons und Philosophie
Doch nicht nur die Wirtschaft interessiert sich für die "Simpsons". Bereits vor drei Jahren erschien der Wissenschaftsband "Simpsons and Philosophy". Wie der Semiotiker Roland Barthes die "Simpsons" sehen würde, wird dort ebenso thematisiert wie Friedrich Nietzsches Konzept des Übermenschen am Beispiel Barts oder die amerikanische Intellektuellenfeindlichkeit anhand von Lisa Simpsons.
Dem Vernehmen nach war Groening von dem Band angetan: Schließlich hatte er selbst neben Film auch Philosophie studiert.
"Simpsons" schreiben Fernsehgeschichte
"Die Simpsons" ist eine der erfolgreichsten TV-Serien der USA.
Kultstatus haben die "Simpsons" schon längst, spätestens im Vorjahr war klar, dass die gelbhäutige Familie auch offiziell in die Fernsehgeschichte eingehen will.
Damals kündigte der TV-Sender Fox an, die Zeichentrickserie, die damals schon 14 Staffeln lief, noch zwei weitere Jahre bis zum Mai 2005 auszustrahlen. "Die Simpsons" wären damit 16 Jahre auf Sendung, länger als jede andere Sitcom zuvor.
20 Staffeln angepeilt
Als Zeichentrickfiguren werden die Mitglieder der Familie Simpson niemals alt und können im Gegensatz zu lebenden Schauspielern auch nicht mehr Geld fordern. Ein Hindernis stellte kurz vor Produktion der 16. Staffel ein Streik der Sprecher dar, doch auch dieses Problem konnte den Erfolgslauf nicht stoppen.
Im November lief die 16. Staffel bereits in den USA an, die nächste ist in Produktion. Und laut Produzent Al Jean würden die Verträge schon bis zur 19. Saison reichen. Auch eine 20. Staffel schließt er nicht aus - dann hätten die Simpsons auch "Gunsmoke" ("Rauchende Colts") als langlebigste US-Fernsehserie überhaupt eingeholt.
Jedes Jahr neue Fans
Die Serie sei außergewöhnlich, sagte Fox-Unterhaltungschef Gail Berman. "Die Simpsons" schienen jedes Jahr neue Fans hinzuzugewinnen, während gleichzeitig die alten der Sendung die Treue hielten.
Berühmte Gäste
Die Serie zeigt nicht nur das Leben der Familie im kleinen Örtchen Springfield, sondern greift auch aktuelle Ereignisse auf, nimmt das amerikanische Alltagsleben aufs Korn und lädt oft auch berühmte Gaststars ein, die ihre Comic-Versionen selbst synchronisieren - zuletzt etwa Tony Blair und "Harry Potter"-Autorin J. K. Rowling.
Begehrte Gastauftritte
Auch im Film- und Musikgeschäft ist ein Gastauftritt in Springfield, der virtuellen Heimatstadt der Simpsons, fast ein "Must".
Von Sting über Richard Gere, von Britney Spears bis zu Kirk Douglas, die Liste der Gastauftritte liest sich wie das Who is who der Showbranche.
Groenings nächste Serie floppte
Kultstatus, aber bei weitem weniger Erfolg hat "Simpsons"-Erfinder Matt Groenings Nachfolgeprojekt "Futurama". Die in der Zukunft angesiedelte und 1999 erstmals ausgestrahlte Zeichentrickserie wurde aus Mangel an Erfolg nach nur 72 Folgen eingestellt.
Gerüchte über ein "Comeback" der Serie und neue Folgen kursieren zwar regelmäßig, wurden aber nicht bestätigt.
Kinofilm in Planung
Eine schier unendliche Liste von Bestätigungen und Dementis gibt es auch zu dem Plan, einen abendfüllenden Simpsons-Kinofilm zu produzieren. Man sei so mit der Produktion der Serie beschäftigt, dass dafür keine Zeit bleibt, hieß es zuletzt.
"Wir arbeiten nebenbei daran", verriet Produzent Jean unlängst in einem Interview. Die Fans werden sich aber weiter gedulden müssen: Die geplante Fertigstellung ist erst 2008.