Virtueller Protestmarsch gegen Absetzung der Simpsons

Die Zeit v. 03/1999

Die erste E-Mail-Demo war erfolgreich

Eins muss man ihnen lassen: Fantasie haben sie, die Simpsons-Fans. Und Ausdauer obendrein. Schliesslich ist noch niemand auf die Idee gekommen, eine E-Mail-Demonstration zu lancieren und einen Sender mit Drohungen zu bombardieren, nur, um Tag für Tag ein paar gelbe Strichmännchen im Fernsehen bewundern zu können.


Man erinnert sich: Mit dem Aufschalten des Schweizer Programmfensters auf RTL und PRO 7 wurden die hiesigen Fernsehzuschauer abrupt und ungefragt um die Comic-Kultserie «Die Simpsons» gebracht. Die Fans waren stocksauer und gingen auf die Barrikaden - zum ersten Mal in der Geschichte nicht via Protestmärsche und Spruchbänder, sondern via Website und E-Mail. «Die Simpsons-Fans haben sich clever organisiert», sagt RTL/PRO-7-Chefredaktor Mario Aldrovandi anerkennend. «Sie haben auf ihren Homepages Files geschaffen, mit denen Protestbriefe direkt an uns, an PRO 7 und RTL in Deutschland gesendet wurden.»
Innert sechs Wochen gingen bei RTL/PRO 7 Schweiz über 500 E-Mails ein, neben vielen Telefonanrufen, aber nur gerade 30 Briefen. Nicht minder gross war aber auch die E-Mail-Protestwelle, die auf die deutschen Muttersender niederprasselte.
Ein Auftritt, der Bewunderung verdient? Nicht unbedingt. Die Simpsons-Fans haben bei ihrer Internetdemonstration leider wenig Witz bewiesen. 80 Prozent der E-Mails seien unoriginell, dumm und primitiv gewesen, sagt Mario Aldrovandi. Kommentare wie «Würg, wäh, igitt, gebt uns die Simpsons back» - oder «Scheiss-RTL/PRO 7. Wir wollen die Simpsons wieder haben» gehörten dabei noch zu den positiven Beispielen. «Aus der untersten Schublade», so Aldrovandi, seien hingegen die Drohbriefe gewesen, die er mittels Fax nach Hause bekommen habe. Der Inhalt sei so übel, dass er ihn gar nicht preisgeben wolle, sagt er enttäuscht. «Von den Simpsons-Fans sollte man mehr erwarten können als nur primitive Sprüche. Schliesslich loben sie ihre Serie ja gerade wegen des unverwechselbaren Humors.»


Den Simpsons-Fans kann das egal sein. Schliesslich haben sie mit wenig Aufwand erreicht, dass ihre Comic-Helden nicht nur auf PRO 7, sondern seit eineinhalb Wochen auch auf SF 2 gesendet werden. Ob sie mit ihrem Erfolg zufrieden sind, lässt sich leider nicht mehr nachvollziehen. Mario Aldrovandi hätte mit den Simpsons-Fans gerne Kontakt aufgenommen und zurückgemailt. Doch «das war beim Grossteil nicht möglich». Fast keiner der Mitstreiter hatte sich auf den Demomails zu erkennen gegeben geschweige denn sich seit dem Pro-Simpsons-Entscheid wieder gemeldet. Auch die entsprechenden Homepages sind bereits wieder verschwunden. Warum sich die streitbaren Fans - grösstenteils wohl Schüler und Studenten, wie man beim Privatsender RTL/PRO 7 vermutet - nicht zu erkennen gaben, ist in einem Fall nachvollziehbar. Vor rund vier Wochen drang jemand in die Homepage von RTL/PRO 7 ein, veränderte fast alles und hinterliess nur Simpsons-Bilder mit der Aufforderung «Gebt sie uns zurück». Ein waschechter Hacker also.


Inzwischen haben die Internetverantwortlichen von RTL/PRO 7 auch aus diesem Fall gelernt. Die Homepage ist jetzt vor Hackern sicher. Doch aufgebrachte Serien-Fans, das haben sie mit ihrer ersten und auf Anhieb gelungenen Demo bewiesen, wird schon was Neues einfallen, um den Fernsehstationen zu zeigen, wer König ist.

Annelies Friedli